GONDO-12-06-2019-Die beiden obersten
Klassen des Gymnasiums Liceo Spezia in Domodossola haben letztes Jahr die Memoiren der Soldatenmutter Else Fischer ins Italienische übersetzt. Diese leitete zur Zeit des Ersten Weltkriegs die Soldatenstube im Fort Gondo während über drei Jahren. Sie beschreibt darin ihren Aktivdienst in dieser Festung, die an der engsten Stelle der Schlucht die Simplonstrasse dominiert. Lawinen, Soldaten, Bergsturz und Sprengungen gehörten zu ihrem Alltag, aber auch Momente intensiven Glücks, wenn sie mit den Truppen Weihnachten feiern konnte.
An ihrem vorletzten Schultag - es war der 6. Juni - besuchten die dreissig Maturandinnen und Maturanden die Räumlichkeiten der Festung und die Soldatenstube in Begleitung ihres Rektors Pierantonio Ragozza und der Sprachlehrerinnen. Danach lasen sie im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im Stockalperturm in drei Sprachen aus dem Buch vor. Gleichzeitig feierte der Rotten Verlag aus Visp hier die Taufe der soeben erschienenen Neuauflage der Memoiren in deutscher Sprache unter dem Titel "1048 Tage in der Schlucht". Gemeindepräsident Roland Squaratti begrüsste die Gäste aus der italienischen Nachbarschaft ganz herzlich und zeigte seine Freude über deren Interesse an Gondo. Verlagsleiter Rico Erpen schilderte den Werdegang der Neuauflage, die in Zusammenarbeit mit dem Initiator Thomas Handschin genau ein Jahr lang dauerte, und die der Autorin ein würdiges Denkmal setzt. Er übergab dem Gymnasium einen USB-Stick mit der Software zur Erstellung einer italienischen Version der Memoiren. Handschin meinte, die besten Bücher seien nebst den Klassikern jene - vielleicht vor langer Zeit erschienenen - Perlen, die ferne Wirklichkeiten derart authentisch beschreiben, dass man als Leser glaubt, mit einer Zeitmaschine gelandet zu sein. Else Fischers Memoiren sind ein solcher "page turner".
Rektor Ragozza, Autor mehrerer Bücher über militärhistorische Themen, beschrieb in seiner Dankesrede die Geschichte dieser Landesgrenze: Einst fürchtete jedes Land die andere Seite und befestigte die Grenze militärisch mit der Linea Cadorna auf italienischer und dem Fort Gondo auf schweizerischer Seite. Die Zeiten haben sich geändert: Inzwischen sind daraus historische Denkmäler und Wanderwege geworden, die touristisch voneinander profitieren. Die Grenze ist keine Trennlinie mehr, sondern eine Piazza, wo sich die beiden Seiten zum Feiern treffen. Er schloss mit dem stark applaudierten Hinweis, Europa könnte daraus viel lernen.
Das Publikum im Saal zählte mehr Menschen als Gondo Einwohner hat. Die Stimmung war von Anfang weg fröhlich und steigerte sich gegen das Apéro mit der Walliser Spezialität Cholera immer mehr in einen freundnachbarschaftlichen Glückstaumel, der bis tief in die Nacht hinein andauerte.